De magicis reptilium et avium
Für Manfred Niekisch

Die Genese des Begriffes des Reptils beginnt im Griechischen ἐρπετόν als jenes kriechende Tier, welches eine besondere Beziehung zur Erde, zum Schatten und zum Geheimnisvollen hat. Die Antike fasste diese faszinierenden Geschöpfe im Mythos oft als Symbol von Weisheit, Gefahr und für das Unbekannte auf. Die lateinische Vorstellungswelt übernimmt diese Auffassung und leitet begriffsgeschichtlich von repere (kriechen oder schleichen) die reptilia her. Dem steht zwar vereint in der Zoologie, aber dennoch diametral der ὄρνιθος gegenüber. In seiner oft farbintensiven Darstellung in der zoologischen Illustration symbolisiert der avis Leichtigkeit, Dynamik und Freiheit. Eine Trias, die für seine ganz eigene Form dem Leben zu begegnen, stilbildend wurde.
Für Manfred Niekisch bildeten beide Taxone das Zentrum seiner bibliophilen Sammelleidenschaft, die durch wichtige ethnologische Werke und Faunen Brasiliens speziell zu Feuerland in seiner Bibliothek ergänzt wird. Es ist genau dieses Amalgam von stringenter wissenschaftlicher Vertiefung und leidenschaftlicher Dynamik, die ihn als Mensch und Wissenschaftler so eindrucksvoll auszeichneten und mit der er sein Umfeld in den Bann zog. Als promovierter Biologe leitete er die Artenschutzzentrale des WWF und wurde anschließend Geschäftsführer der Tropenwaldstiftung OroVerde, bevor er 1998 an die Universität Greifswald auf eine Professur für internationalen Naturschutz berufen wurde. Von 2008 bis 2017 war er Direktor des Frankfurter Zoologischen Gartens und hatte damit verbunden die Kooperationsprofessur für Internationalen Naturschutz an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main inne. Von 2013-2021 beriet er als Mitglied des Sachverständigenrat für Umweltfragen die Bundesregierung.
Manfred Niekisch war ein Kosmopolit. Er verfügte über eine weltweite Vernetzung in Wissenschaft, Politik und Kultur. Seine freundliche Art, sein interdisziplinäres Wissen und seine unerschöpfliche Neugier öffneten immer wieder Türen. Die Wechselbeziehung zwischen seinem Leben und seiner bibliophilen Sammlung ist tiefgründig. Nikisch lebte fortwährend den Agon zwischen wissenschaftlicher akribischer Forschung und seiner globalen Jagd nach neuen bibliophilen Schätzen, welche er nicht selten gekonnt auch zu verbinden wusste. Seine grenzenlose Berufung für Herpetologie und Ornithologie ging weit über die Wissenschaft hinaus: Es war eine Herzensangelegenheit, die ihn motivierte, fortwährend die Geschichten dieser Tiere zu erzählen und deren Schutz zu fördern, indem er ein Bewusstsein dafür schaffen wollte.
Seine Sammlung umfasst eine breite Palette an Themen, darunter Taxonomie, Ökologie, Verhalten und Fortpflanzung von Reptilien, Amphibien und Vögeln, die er im Rahmen seiner umfassenden Bildung um alle wichtigen Querverbindungen zu den angrenzenden Wissenschaften stringent ergänzte. Im Zentrum stand immer wieder der deutsche Naturforscher Johann Rösel von Rosenhof dem er stets viel Aufmerksamkeit schenkte. Zuletzt publizierte er gemeinsam mit dem Frankfurter Antiquar Frank Fritzlen über ein bisher der Forschung unbekanntes Aquarell von Rösel von Rosenhofs Historia Naturalis Ranarum[1], dem er auch eine umfassende Einleitung eines Reprintes widmete.[2] Die in seiner bibliophilen Sammlung enthaltenen Schriften reichen von den frühen systematischen Arbeiten des 18. und 19. Jahrhunderts bis hin zu rezenteren spezialisierten Studien. Nicht selten finden sich signierte Werke und einzigartige Handexemplare bedeutender Wissenschaftler, die er mit besonderer Wertschätzung sammelte. Die umfangreiche Bibliothek dieses Polyhistors wurde so zu einem Ort der Kreativität sowie des Lernens und des Dialogs, an dem Sammler und Wissenschaftler zusammenkamen, um ihre magische Faszination für Reptilien und Vögel sowie deren Lebensräume zu teilen.
The genesis of the term reptile begins in the Greek ἐρπετόν as the crawling animal that has a special relationship with the earth, the shadow and the mysterious. Ancient myths often saw these fascinating creatures as symbols of wisdom, danger and the unknown. The Latin imagination adopts this view and derives reptilia from repere (‚to creep‘ or ‚to slither‘). Although united in zoology, this is diametrically opposed to the ὄρνιθος. In its often colourful depiction in zoological illustrations, the avis symbolizes lightness, dynamism and freedom.
A triad that became the style for his very own way of encountering life. For Manfred Niekisch, both taxons formed the center of his bibliophile collecting passion, which is complemented by important ethnological works and faunas of Brazil, especially on Tierra del Fuego, in his library. It is precisely this amalgam of stringent scientific depth and passionate dynamism that characterized him so impressively as a person and scientist and with which he captivated those around him.
With a doctorate in biology, he headed the WWF‘s species conservation center and then became managing director of the tropical forest foundation Oro Verde before being appointed to a professorship for international nature conservation at the University of Greifswald in 1998. From 2008 to 2017, he was Director of the Frankfurt Zoological Garden and held the associated cooperation professorship for international nature conservation at the Johann Wolfgang Goethe University in Frankfurt am Main. From 2013 to 2021, he advised the German government as a member of the German Advisory Council on the Environment.
Manfred Niekisch was a cosmopolitan. He had a worldwide network in science, politics and culture. His friendly manner, his interdisciplinary knowledge and his inexhaustible curiosity opened doors time and again.The correlation between his life and his bibliophile collection is profound. Nikisch constantly lived the agon between scientific meticulous research and his global hunt for new bibliophile treasures, which he often knew how to combine. His boundless vocation for herpetology and ornithology went far beyond science: it was a matter of the heart that motivated him to continually tell the stories of these animals and promote their protection by raising awareness.
His collection covers a wide range of topics, including taxonomy, ecology, behavior and reproduction of reptiles, amphibians and birds, to which he stringently added all important cross-connections to the related sciences as part of his comprehensive education. The German naturalist Johann Rösel von Rosenhof was always at the center of his attention. Most recently, together with the Frankfurt antiquarian bookseller Frank Fritzlen, he published on a watercolor of Rösel von Rosenhof‘s Historia Naturalis Ranarum, previously unknown to researchers, to which he also dedicated a comprehensive introduction to a reprint. The writings contained in his bibliophile collection range from the early systematic works of the 18th and 19th centuries to more recent specialized studies. It is not uncommon to find signed works and unique hand copies of important scientists, which he collected with particular esteem. This polyhistor‘s extensive library thus became a place of creativity as well as learning and dialog, where collectors and scientists came together to share their magical fascination for reptiles and birds and their habitats.
BALÁZS JÁDI
[1] Ein bisher unbekanntes Original-Gemälde zu Rösels geplanter „Naturgeschichte der Eydexen“. In: Sekretär. Beiträge zur Literatur und Geschichte der Herpetologie und Terrarienkunde, 21 (2021), 130-138.
[2] August Johann Rösel von Rosenhof. Künstler, Naturforscher und Pionier der Herpetologie; eine Einführung zum Reprint der "Historia naturalis ranarum nostratium - Die natürliche Historie der Frösche hiesigen Landes", Saarbrücken, Fines Mundi, 2009. S. 1-61.